Am Ende muss immer die Null stehen Wer Anhänger hat, sollte Vorbild sein – das zeigt der 1. FSV Mainz 05. Mit technischen Einsparungen, CO2-Kompensation und Anstachelung von Fans und Spielern hat Mainz es zum ersten klimaneutralen Fußball-Bundesliga-Verein gebracht.
Beim Fußball läuft nichts ohne die Fans. Sie sind das Rückgrat eines jeden Vereins. Im Stadion stehen und sitzen sie auf Stammplätzen, in Trikots gewandet und mit Schals der Herzensmannschaft behängt. Den Nachwuchs auf den Schultern, die Feuerwurst im Magen und mit Gänsehaut beim Anstimmen der jeweiligen Vereinshymne können sie den Anstoß kaum abwarten. Sie fiebern mit, leiden, wenn es mal nicht so gut läuft, aber stehen selbstverständlich auch dann hinter ihrem Verein. Umso größer die Begeisterung, wenn ein Treffer das Spiel für die eigenen Kicker entscheidet. Dann ist ein Fußballfan der glücklichste Mensch der Welt und freut sich mit seinem Team wie über die Geburt eines Familienmitglieds – oder mehr? Der Verein ist aus dem Leben eines Fans nicht wegzudenken, und Vereine ohne Fans sind nur müde Sportkonzerne.
Weil gemeinsam durchlebte Höhe- und Tiefpunkte zusammenschweißen, verbindet der Sport nicht nur unterschiedlichste Menschen, sondern bringt auch eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung mit sich. Und die nehmen die Profi-Vereine auch wahr. Sportclubs stehen qua Tradition für soziales Engagement, und immer häufiger geht das über die Kernbereiche der Vereinsarbeit hinaus. So gerät auch der Klimaschutz zunehmend ins Blickfeld von Sportfunktionären.
Der 1. FSV Mainz 05 hat den Ball in dieser Hinsicht schon länger im Spiel. Der Fußball-Bundesligist spart seit einem Jahrzehnt aktiv Energie ein. Mit technischen Maßnahmen, aber auch über Aufklärungsarbeit und Kooperationen mit klimafreundlichen Partnern. Heute ist Mainz 05 der erste klimaneutrale Verein der Fußball-Bundesliga. Was der Fußballlehrer Huub Stevens mal als Maxime für ein erfolgreiches Spiel etablierte, praktiziert Mainz 05 mit seiner ausgeglichenen Klimabilanz: „Die Null muss stehen!“ Die CO2-Emissionen, die der Verein beim besten Willen nicht vermeiden kann, werden kompensiert. Dafür unterstützen die Kicker ein Programm in Kanada, das Auwälder aufforstet, um die ursprüngliche Kohlendioxid-Speicherfähigkeit der Region wiederherzustellen.
Aber nochmal einen Trippelschritt zurück: Der Einsatz in Sachen Klimaschutz begann bei Mainz 05 vor zehn Jahren mit dem Bau von Photovoltaikanlagen auf dem Dach des Stadions. Dafür wurde der Verein dann bereits 2007 als Mainzer Ökoprofit-Unternehmen ausgezeichnet. Doch anstatt sich damit zufrieden zu geben und den Umweltschutz-Pokal in die Vitrine zu stellen, blieben die rheinhessischen Verantwortlichen am Ball. So überraschte es auch niemanden, als in der Saison 2009/2010 der Ökostromanbieter entega neuer Hauptsponsor des Bundesligisten wurde. Das Sponsoring-Paket des nachhaltigen Energieversorgers enthielt neben vielen Leistungen auch Auflagen: Der Verein sollte sich verpflichten, den eigenen Energieverbrauch zu prüfen und offenzulegen, um auf dieser Grundlage dann verschiedene Energiesparmaßnahmen umzusetzen. Die Vereinsführung willigte ein, der Startschuss für die ungewöhnliche Zusammenarbeit der beiden Unternehmen war gefallen.
In einer aufwändigen Studie ermittelte entega zusammen mit dem Öko-Institut e.V. 2009 den CO2-Fußabdruck des Vereins und zeigte auf, in welchen Bereichen des Fußballgeschäfts wie viel Energie verbraucht wurde. Mainz 05 reagierte mit der vollständigen Umstellung auf Ökostrom und mit der Modernisierung der Lüftungsanlagen im Stadion. So können im Vergleich zu konventionellen Stadien jährlich Hunderte Tonnen CO2 eingespart werden. Aber das reichte den Kickern noch nicht: nach dem Spiel ist bekanntlich vor dem Spiel. Zusammen mit dem eigens ernannten Klimawart, Stephan Bandholz, hielt die Vereinsführung weiter Ausschau nach Einsparpotenzialen. Die Frage war: „Wo kann man noch Energie sparen, wenn die technischen Mittel erschöpft sind?“, erklärt Daniel Wilcke aus der Marketing-Abteilung des FSV Mainz 05.
Der Posten mit der größten Klimabelastung war bald gefunden: die Fans. Die kommen nämlich gerne mit dem Auto, um ihre Mannschaft spielen zu sehen. Das kann ihnen die Vereinsführung natürlich nicht verbieten – und möchte es auch nicht. Doch wenn der geliebte Club freundlich bittet, reicht das ja vielleicht schon, um die Anreisegewohnheiten der Fans im Sinne des Klimaschutzes zu beeinflussen. Gesagt, getan: Seit 2012 nutzt Mainz 05 sämtliche Kommunikationskanäle, Projektpartner und Sponsoren, um seine Anhänger dazu zu bewegen, sich anders zu bewegen: Die sollen die Beine in die Hand nehmen, sich aufs Rad schwingen oder mit Bus und Bahn zum Stadion fahren.
Damit die Null auch wirklich steht, wurde die Mission Klimaverteidiger klug aufgestellt: Zum Projekt gehört eine Kooperation mit der Deutschen Bahn, die an Spieltagen Sonderzüge zur Verfügung stellt. Oder der Verein organisiert Busse für Auswärtsfahrten. „Die sind immer voll“, so Wilcke, und werden von Leuten „quer durch die Bank“ genutzt. Wirklich gezaubert wird allerdings bei den Heimspielen. Dazu hat Mainz 05 ein Belohnungssystem für klimafreundliches Verhalten aufgebaut: Fans, die auf dem Fahrrad zum Stadion strampeln, bekommen etwas geschenkt und haben die Möglichkeit, etwas zu gewinnen – Trikots oder ein Flick-Set für den Drahtesel. An den vom Verein und entega regelmäßig ausgerufenen autofreien Spieltagen gibt es zusätzlich einen kostenlosen Fahrrad-Service, der schwächelnde Räder aufpumpt oder Bremsen einstellt, während die Fans im Stadion fiebern. Und wer besonderes Glück hat, wird direkt am Fahrradständer mit Karten für die VIP-Lounge beschenkt.
Die Mainzer Vereinsführung will aber nicht nur die Bekehrten belohnen, sondern auch die Ahnungslosen und Störrischen für das Klima gewinnen. Deshalb werden in der Halbzeitpause Fotos der VIP-Radler auf die Leinwand im Stadion übertragen. Diese Arbeit am Image des Klimaschutzes ist Mainz 05 sehr wichtig. Es geht darum, den Fußballfans das Klimaproblem näher zu bringen und dafür zu sorgen, dass „das nächste Mal noch mehr Leute mit dem Rad kommen“, sagt Kommunikationsmann Wilcke. Die Aufklärungsarbeit macht dabei auch vor der eigenen Mannschaft nicht halt. Die wurde gleich zu Beginn des Projekts zu einer „Klimaschutztaktikschulung“ geladen und so für den Themenbereich sensibilisiert.
Die Klimaschutzstrategie von Mainz 05 funktioniert, und das ganz ohne Vorschlaghammer oder Ökodiktatur. Das lässt sich an den Zahlen zur CO2-Einsparung ebenso belegen wie an weicheren Indikatoren: Die Mainzer Fans lassen nicht nur immer öfter das Auto stehen, sondern scheinen sich verstärkt für den Klimaschutz zu interessieren. Sie stellen gezielte Fragen zum Thema und schicken Emails mit positivem Feedback. Und auch an der Mannschaft ist die Klimataktikschulung nicht spurlos vorüber gegangen, denn „viele Profis sind danach privat auf Ökostrom umgestiegen“, berichtet Wilcke. Auch der Vereinsmitarbeiter selbst ist aufmerksamer geworden und hat sein eigenes Anreiseverhalten geändert. In bester Vorbildmanier fährt er seit letztem Jahr jeden Tag mit dem Mountainbike zur Arbeit.
Der Ball, der sich, einmal angestoßen, beim 1. FSV Mainz 05 zum Selbstläufer entwickelt hat, könnte auch bei Mannschaften ins Tor treffen, die noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Dann fährt Jogi Löw mit seinen Nationalspielern vielleicht bald regelmäßig mit der U-Bahn zum Spiel – und das nicht nur, um dem Verkehr in der Rush Hour zu entgehen. Das wäre gut fürs Klima und würde sicher auch den einen oder anderen Fan zum Umdenken bewegen. FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit am 30.01.2014