Artikel in Explizit! Neue Perspektiven zu Pornografie und Gesellschaft
Verhandlungssachen– Pornografie als durchlässige Kategorie
Porno ist überall. Porno erobert den Mainstream und boomt in den Nischen, findet sich im Alltag, im Pop und in der Kunst« (Matt 2009: 26), konstatiert der Katalog zur Ausstellung The Porn Identity in der Kunsthalle Wien und bedient sich damit einmal mehr der rhetorischen Figur der ubiquitären Pornografie. Tatsächlich lassen sich im künstlerischen, wissenschaftlichen, politischen und technischen Bereich Öffnungen und Veränderungen beobachten. Pornografie dringt immer weiter aus dem Bereich des Verbotenen in jenen des Öffentlichen vor: Noch vor 50 Jahren wurde pornografisches Material weitgehend im Verborgenen hergestellt, distribuiert und betrachtet und war für einen von einem männlichen Zielpublikum dominierten Markt bestimmt. In den 1970er Jahren, im sogenannten Golden Age of Porn, gab es die ersten Featurefilme, wie DEEP THROAT (1972; R: Gerard Damiano ) oder BEHIND THE GREEN DOOR (1972; R: Artie Mitchell / James Mitchell ), die in großen Kinos gezeigt und deren Premieren von prominenten Gästen besucht wurden.
Mit dem Aufkommen der Videokassette Ende der 1970er Jahre und der DVD Mitte der 1990er Jahre sowie spätestens seit den 2000er Jahren mit den sogenannten Neuen Medien und dem Web 2.0 wurde Pornografie dann verhältnismäßig leicht zugänglich. Pornografische Darstellungen scheinen die sexuellen Praktiken der User zu beeinflussen und kategoriale Begriffsschöpfungen wie gangbang, facial oder amateur1 wie selbstverständlich in ihren Wortschatz überzugehen. Das Internet ist dabei zum Hauptanbieter avanciert und hat einen riesigen Markt geschaffen: »The Internet is for porn. We all know that, but until now we may not have realized to what extent porn dominated the Internet. According to [the] porn website Paint Bottle, porn takes up a huge percentage of Internet bandwidth. In fact, 30 percent of all data transferred across the Internet is porn« (Huffington Post 2014). Die durch digitale Medien erleichterten Produktionsmöglichkeiten und Distributionsbedingungen befeuern aufs Neue den Ruf nach einer stärkeren Zensur oder gar einem kompletten Verbot von Pornografie 2 und haben gleichzeitig eine Öffnung desMarktes zur Folge, was die Ausformung neuer pornografischer Formate und deren Ausbreitung begünstigt: wie dem gonzo oder Spielarten der Amateurpornografie, alt-porn und indie-porn.
Digitale Medien schaffen dabei auch Raum für vormals marginalisierte Gruppen, Pornografie für die eigene Zielgruppe zu produzieren. Heute scheint Pornografie in der Kunst ebenso angekommen wie im Privatfernsehen und Feuilleton oder Musikmagazinen (vgl. Travers 2009), von einem sogenannten ›Porn Style‹ ist die Rede, Porn-Film-Festivals (Pornfi lmfestival Berlin, Feminist Porn Awards / Toronto, Rated X – Alternative Erotic Film Festival / Amsterdam, HUMP! Film Festival / Seattle) sind wie Dokumentationen über (ehemalige) Pornostars gesellschaftsfähig.3 Diese Bewegung des zunehmenden Sichtbarwerdens von Pornografie, die auch den Mainstream verändert, ist von Linda Williams als graduelle Verschiebung von off/scene zu on/scene (vgl. Williams 1993) beschrieben worden. Was diese Verschiebung bedeutet und welche Konsequenzen sie mit sich bringt, ist allerdings weit weniger eindeutig, als es auf den ersten Blick scheint.
Relative ÖffnungenDenn die genannten Entwicklungen führen nicht zu einer Aufweichung der Positionen und Diskurse oder gar einem Konsens über die Funktion und Bedeutung von Pornografie. Öffentlichen Debatten (wie sie beispielsweise auf sehr unterschiedliche Art und Weise von Alice Schwarzer und Mireille Miller-Young geführt werden), Publikationen und Ratgeber (Oversexed und Underfucked, Digitales Verderben: Wie Pornografie uns und unsere Kinder verändert) Theateraufführungen und Ausstellungen (The Porn Identity / Wien) zeichnen eher ein Bild von Realitäten, die durch tiefe Gräben getrennt sind. Während auf der einen Seite Ängste vor einer ›Pornifizierung ‹ der Gesellschaft formuliert werden, konstatieren die anderen, Pornografie sei mittlerweile ein Thema, das sein schockierendes Potenzial weitestgehend eingebüsst habe. So schreibt María Llopis 2013: »Pornography has become a fashion issue. It is no longer something to be ashamed of. […] A fancy conversation eating cupcakes and drinking tea«. In diesem Spannungsfeld stehen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die versuchen ein differenziertes Vokabular einzuführen und Kategorien und Definitionen zu diskutieren, um Pornografie analysierbar zu machen. Dabei stehen sich die Lager teilweise oppositionell gegenüber, verteidigen ihre jeweiligen Nischen, radikalisieren ihre Positionen, stellen sich gegen eine Intellektualisierung des Themas oder gehen an den Realitäten der Nutzer und Produzenten vorbei.
Die Diskrepanzen wurden auch bei der von den Herausgebern dieses Bandes organisierten Konferenz Explicit! Coming to Terms with Pornography deutlich. Der Auftakt, für den wir in Kooperation mit dem Pornfilmfestival Berlin (PFFB) ein Filmprogramm zusammengestellt hatten, fand Anfang 2013 im Potsdamer Filmmuseum statt. Nach unseren einführenden Worten, die in dem Bemühen formuliert waren, in die Thematik einzuführen und einen wissenschaftlichen Rahmen für die folgende Vorführung zu setzen, ging Jürgen Brüning , Initiator des PFFB, ans Mikro mit den Worten: »Bei uns wird Porno nicht analysiert, sondern angesehen!«. Über Pornografie zu sprechen ist also schwer. Auch heute noch.
Bei kaum einem anderen Thema sind die Auseinandersetzungen derart diskursiv überlagert und von moralischen Bedenken oder eklatantem Unwissen verstellt. Pornografie bleibt untertheoretisiert, und im öffentlichen Bereich gibt es nur wenige ernsthafte Vorstellungen davon, was Pornografie ist; zudem bleibt das Wissen der User bleibt außen vor, beziehungsweise wird ignoriert. Die Debatte ist daher nach wie vor von Verallgemeinerungen geprägt. Die Verhandlungssachen 9 Annahme, Pornografie und insbesondere der pornografische Film sei ohne Vielfalt, unterschiedslos frauenverachtend, eine reine Männerdomäne und irgendwie unbestimmt pervers ist weit verbreitet. Das Schubladenpotenzial ist ungebrochen groß und die Rhetorik und Argumentationslinien sind erstaunlich hartnäckig: Pornografieforschung wird immer noch mit Antifeminismus verwechselt (vgl. Smith 2011), Menschen, die Pornografie produzieren oder sich mit ihr auseinandersetzen, stehen unter dem Generalverdacht der moralischen Verkommenheit (vgl. Madrigal 2014), die Möglichkeit einer pornografischen Bedeutungsproduktion per se wird bezweifelt, und Pornografie auf seine Funktion als bloße ›Masturbationsvorlage‹ reduziert.
Aber nicht nur im öffentlichen Bereich ist der Blick eingeschränkt, auch der Forschungsstand ist in allen Disziplinen lückenhaft. Empirische Studien zum Verhalten und zur Beeinflussung von Pornusern sind rar, und eine historische Vergleichbarkeit oder Verortung von pornografischen Darstellungen oder Schriften ist schwierig, weil pornografisches Material lange nicht als Teil des gesellschaftlichen Kanons angesehen und folglich nicht archiviert wurde. Die Unschärfen und Missverständnisse beginnen bereits bei der Definition. Denn obwohl die einhellige Meinung herrscht, Pornografie sei ein Genre, das sich besonders leicht erkennen und einordnen lasse, erweist sich die juristische und formale Kategorie ›Pornografie‹ als chronisch unbestimmbar.
Dies lässt sich an der deutschen Rechtsprechung ablesen, die im Gesetzestext keine allgemeingültige Festschreibung vorgenommen hat: »Das Merkmal ›pornografisch‹ ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Der Gesetzgeber hat auf eine Legaldefinition bewusst verzichtet, um die Gerichte bei der Auslegung nicht zu binden« (Walther 2003: 3). Dies mahnt nicht nur jede Annahme ab, die Merkmale von Pornografie seien besonders leicht definierbar, sondern der relative Auslegungs-Spielraum ist sogar zwingend notwendig, weil die Frage danach, was pornografisch und damit auch indizierbar ist, direkt mit vorherrschenden Vorstellungen von ›Moral ‹ und ›Anstand ‹ verknüpft ist. Mit Kategorien also, die selbst fortwährenden Veränderungen unterworfen sind. Pornografie ist somit kein ›Tatbestand‹, der einmal bestimmt, bestehen bleibt, sondern kann jeweils nur temporär festgeschrieben werden. Was als pornografisch empfunden wird, beruht so zwar auf einem gesellschaftlichem ›Minimalkonsens‹, ist aber nie statisch und muss stets neu verhandelt werden.4
Die »Missachtung« der pornografischen Bedeutungsproduktion hat dabei, wie Jürgen Felix in Bezug auf die Medienwissenschaften beschreibt, System, weil »der Pornofilm und das pornografische Bild« bewusst von der »medienwissenschaftlichen Forschung […] ausgeschlossen« (Felix 2004: 391) werden. Und nicht nur das pornografische Material selbst wird in der Analyse vernachlässigt, sondern auch dessen Rezeption. Wie Henry Jenkins aufzeigt, haben wir weniger Kenntnisse über das Publikum von Pornografie als über »probably any other genre of popular entertainment « (2004: 2). Was sich hier in Folge der technischen und gesellschaftlichen Veränderungen öffnet, sind letzten Endes eher ökonomische Kanäle als diskursive Felder. Denn Pornografie bleibt nach wie vor das kulturell ›Andere‹, das argwöhnisch beäugt wird, ob seiner ›eindeutigen‹ Intention und direkten Effekte auf unsere Körper. Die systematische Marginalisierung und das Verorten von Pornografie in der ›Schmuddelecke‹ lässt sich allerdings nicht allein über ihre spezifische affektive Wirkung erklären. Der Ausschluss ist nichts Selbsterklärendes oder gar natürlich Gewachsenes, sondern hat im Gegenteil eine lange Tradition und liegt nicht zuletzt in den Bemühungen begründet, das subversive Potenzial von Pornografie zu kontrollieren. Denn Pornografie ist viel mehr als ein (Body-)Genre . Sie ist eine mächtige ökonomische, mediale und juristische Kategorie.
Ihre Bedeutungsproduktion ist untrennbar mit gesellschaftlichen, politischen und historischen Entwicklungen verknüpft, beeinflusst diese – direkt und indirekt – und wird wiederum von ihnen beeinflusst. Sie steht in Wechselbeziehung nicht nur zu Kultur und Gesellschaft, sondern auch zur Kunst und ihren Institutionen. Pornografie ist dabei nicht nur Objekt von gesellschaftlichen Konstruktionen und repressiver Macht (durch Verbote und Zensur ), sondern auch deren Subjekt, weil sie Normen mithervorbringt und bestehende Hierarchien (re-)produziert. Gleichzeitig kann sie eine subversive Praxis sein, die sich gegen die repressive Macht, gegen Hierarchien und Normen richtet. Diese auf den ersten Blick paradox erscheinenden Zusammenhänge werden im Folgenden näher beleuchtet, denn sie markieren das Spannungsfeld, vor dem sich die Beiträge der Publikation entfalten.
Subversion und ÜberwachungWie Lynn Hunt in Die Erfi ndung der Pornografi e zeigt, gehören »seit dem 16. Jahrhundert Pornographie und politische bzw. religiöse Subversivität eng zusammen« (Hunt 1994: 32). Zwischen 1600 und 1800 wurden explizite sexuelle Darstellungen vor allem genutzt, um durch den Schock, den sie auslösten, Kritik an den vorherrschenden politischen und religiösen Autoritäten zu üben und deren Vertreter zu verunglimpfen. Ab dem 19. Jahrhundert nutzten Freidenker, Häretiker, Humanisten, Aufklärer und Materialisten Pornografie, um ihren philosophischen Standpunkt zu transportieren und an den bestehenden Systemen zu hebeln. Sie erprobten neue Formate, mit dem Ziel sich den (sexuellen) Realitäten der Mehrheit der Bevölkerung anzunähern und versuchten das abzubilden, was die sogenannten ›unteren Schichten‹ anging. Außerdem versuchten sie die Grenzen der Überwachung im Rahmen der Kunst auszutesten. So scheint das Experimentieren mit neuen Formaten pornografischer Schriften zum Beispiel in einem engen Zusammenhang mit der Entstehung des Romans zu stehen (vgl. Hunt 1994).
Der Wunsch nach Zensur, Ausschluss und Kontrolle wurde und wird dabei immer dann besonders laut, wenn das Obszöne einer breiteren Masse zugänglich wird beziehungsweise der Zugang zu Informationen demokratisiert wird. Die Argumentation für die Notwendigkeit, Pornografie unter Verschluss zu halten, ist nach wie vor der Schutz bestimmter Gruppierungen. Sie ist gleichzeitig konstitutiv für die Entstehung der Begriffskategorie Pornografie: »Die Aussicht auf eine vielfältige Repräsentation des Obszönen rief den Wunsch nach Grenzen, Katalogisierungen, Klassifizierungen und Hygienezensur hervor. Pornografie als regulative Kategorie wurde also als Antwort auf die spürbare Bedrohung durch die Demokratisierung der Gesellschaft erfunden « (Hunt 1994: 10).
Denn Versuche der »Überwachung des Obszönen « und des damit einhergehenden »Ausschluss[es] der unteren Schichten und der Frauen«, also jenen Bevölkerungsanteilen, die von der »soziale[n] Elite« als besonders gefährdet und leicht beeinflussbar eingestuft wurden, gab es, seit die »Unterscheidung zwischen privat und öffentlich« (ebd.) besteht. Der Beginn des Begriffsgebrauchs von Pornografie im modernen Sinn, also als literarische, ästhetische und juristische Kategorie, ist laut Lynn Hunt mit den verstärkten Zensurbemühungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts verknüpft und »war Ergebnis von Konflikten zwischen Schriftstellern, Künstlern und Graveuren auf der einen Seite und Spionen, der Polizei, Geistlicher und Staatsbediensteter auf der anderen« (ebd.). Dies bedeutet explizit nicht, die Geschichte der Pornografie auf den Zusammenhang von Überwachung und Subversion zu reduzieren, allerdings kann ihre »politische und kulturelle Bedeutung [auch] nicht unabhängig von ihrer Entstehung als Denk-, Repräsentations- und Überwachungskategorie gedacht werden« (ebd.). Die Verquickung zweier entgegengesetzter Bewegungen, nämlich des verstärkten Vordringens expliziter Repräsentationen in die Öffentlichkeit und des gleichzeitigen Versuches, diese stärker zu zensieren.
Zu dieser Zeit versuchten wissenschaftliche und staatliche Institutionen zunehmend, umfassende Kenntnisse über möglichst alle Dinge zu erlangen, um diese besser beschreiben, einschätzen und letztlich auch kontrollieren zu können. Das betrifft auch und insbesondere die menschliche ›Sexualität ‹5: »Die modernen Gesellschaften zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie den Sex ins Dunkel verbannen, sondern dass sie unablässig von ihm sprechen « (Foucault 1983: 40). In der abendländischen Kultur besteht, so Foucault weiter, seit drei Dekaden ein Imperativ »alles über seinen Sex zu sagen« (1983: 34) und ihm jedes noch verbliebene Geheimnis zu entlocken, was sich in der Kategorisierung und Katalogisierung der körperlichen Lüste niederschlägt. Vormals verschiedene Sexualitäten werden in diesem Prozess zu »Identitäten verhärtet« (Williams 1995: 25) und das binäre System von normal/pervers , männlich/weiblich, das noch heute gilt, hervorgebracht. Die Etablierung der Figur des Perversen , welche gleichsam die Negativfolie für das Normale bildet, ist eine direkte Folge des veränderten Anspruchs, Wissen über Sexualität zu sammeln und zu kategorisieren.
Für die Norm, die von den binären Systemen Mann/Frau und hetero/homo abgeleitet wird, hat Judith Butler den Begriff der Heteronormativität (vgl. Butler 1991) geprägt. Mehr Wissen über Sexualität fördert demnach keinen Lustgewinn, sondern resultiert in einer immer »angepaßtere[n] Form von Sexualität «, führt also »unweigerlich zu mehr Kontrolle, Konformität und Regulation.« Linda Williams beschreibt diese Situation in Anlehnung an Stephen Heath als »sexuelle Zwickmühle «, denn der »Gedanke einer Befreiung durch mehr Wissen oder mehr Freiheit« ist eine »Illusion« (Williams 1995: 40). Die binären Systeme bilden das Fundament für die Marginalisierung von sogenannten abweichenden sexuellen Orientierungen wie Homo- und Transsexualität et cetera. Pornografie und insbesondere der pornografische Film sind in diesem Zusammenhang wichtige Mittel, um dem Sex weitere Geheimnisse zu entlocken.
Gleichzeitig reproduzieren sie die eben beschriebenen Dichotomien Mann/Frau, indem sie männliche Lust visualisieren und den männlichen (sichtbaren) Orgasmus als narrativen Höhepunkt etablieren, der die Handlung beschließt, während der weibliche Orgasmus unrepräsentiert bleibt. Auch sind nicht-heterosexuelle Spielarten unterrepräsentiert, was letztlich entschieden zur Festigung der heteronormativen Kategorien beiträgt. Pornografie ist also aktiv an der Produktion und Reproduktion bestimmter repressiver Normen und Festschreibungen beteiligt. Dies ist insbesondere relevant in Bezug auf Pornografie, die über das Internet konsumiert wird, weil hier Sichtbarkeit mit Auffindbarkeit gleichgesetzt werden kann. Letztere wird dabei fast ausschließlich über kategoriale Zuschreibungen gewährleistet, wie sie sich beispielsweise in den Zugriffsmenüs von Porno-Webseiten finden.6
Umnutzen und NeuverhandelnHeute gibt es verschiedene Gegenstrategien zu der als heteronormativ identifizierten Mainstream -Pornografie. Sie reichen von den feministischen Porno-Experimenten seit Mitte der 1980er Jahre, über die subkulturelle Pornografie ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und der Explosion des sogenannten indie-porn oder alt-porn , der durch das Web 2.0 vorangebracht wurde, bis hin zur Szene des queeren Pornos und der Postpornografie . Die Ansätze der Aneignung und Neuverhandlung sind heterogen und können als feministisch, queer oder postpornografisch bezeichnet werden. Eine genaue Ausdifferenzierung der einzelnen Gruppierungen ist oft schwer möglich.
Ihnen ist aber gemein, dass sie sich nicht nur gegen eine von Mainstream- Pornografie dominierte Industrie richten, sondern grundsätzlich eine größere Komplexität in der Geschlechterpolitik einfordern und die Diversität von sexueller Lust repräsentiert sehen wollen. Durch die bewusste Aneignung und Neuinterpretation pornografischer Darstellungen, werden bestehende Normen und geschlechtliche Festschreibungen aufgebrochen, um Pornografie für emanzipatorische Prozesse fruchtbar zu machen.7 Die Modi der Aneignung und Neuverhandlung pornografischer Mittel sind, wie auch ihre Ansätze, heterogen.
Regisseure und Regisseurinnen versuchen beispielsweise eine andere Bildersprache oder Erzählstrategie zu finden, um aus referentiellen Systemen auszubrechen und zeigen Körper und Praktiken, die vom Mainstream abweichen (wie Erika Lust , Tristan Taormino , Gala Vanting )8, sie produzieren Pornografie, die nicht auf Masturbation und Orgasmus angelegt ist, nutzen die schockierende Wirkung von Pornografie, um den Zuschauer zu ›indoktrinieren‹ und politische Inhalte über Pornografie zu transportieren (wie Annie Sprinkle , Bruce LaBruce ), produzieren Filme nach dem ›Do-it-yourself‹-Prinzip, um sich den Machtmechanismen zu entziehen, die der Markt und der Mainstream vorgeben (wie Candida Royalle , GirlsWhoLikePorno , Post- OP , Go Fist Foundation ), oder heben feste geschlechtliche Rollenzuschreibungen auf und wechseln zwischen diesen hin und her, wie beispielweise in queeren Pornos (wie Courtney Trouble ). Das Oder ist dabei natürlich kein entweder/oder, sondern kann durchaus zusammenfallen. Die Intention ist immer, eine Schneise in den heteronormativen Mainstream zu schlagen, marginalisierte Praktiken sichtbar zu machen, binäre Kategoriesysteme aufzuweichen oder sich im besten Fall jeglicher kategorialen Festschreibung zu entziehen.
Der genuine Mehrwert einer solchen Auseinandersetzung liegt darin, ein hermetisches System aufzubrechen, indem es konterkariert wird, und Zusammenhänge und Setzungen transparent zu machen, die als gegeben hingenommen werden. Es geht um ein ›Innehalten‹, darum, die Mechanismen der medialen, gesellschaftlichen und politischen Systeme zu hinterfragen und einen Raum zu öffnen, ohne ihn gleich wieder neu besetzen zu müssen: »A post porn politics starts when the pointless dualism of biomale (active, powerful, subject) and biofemale (passive, powerless, object) starts to melt and open up a field of new possibilities and potentialities« (Stüttgen 2009: 10). Die Möglichkeit für ein Umdenken und Neuverhandeln, die Tim Stüttgen hier als spezifische postpornografische Praxis beschrieben hat, kann für jede Art der Auseinandersetzung geltend gemacht werden und insbesondere für jene mit Pornografie.
Reflexion und Widerständigkeit Die hier skizzierten Gegenstrategien und emanzipatorischen Praktiken entlarven Begriffe, Erzählungen, Kategorien und heteronormativen Denkfiguren, mit denen wir alle tagtäglich hantieren, durch ihren refl exiven Zugang als naturalisiert . Das Verschleiern der soziokulturell geprägten Herkunft von Begriffen hat Roland Barthes als die wesentliche Seite des Mythos beschrieben, den er als »Aussage« beziehungsweise als »Weise des Bedeutens« (1964: 85) identifi ziert. Der Mythos ist dabei ein System, das Sinn deformiert und Geschichte in Natur verwandelt. Durch diesen Usus bringt er die ›ewigen‹ Werte hervor, die sich scheinbar von selbst erklären und deren Ursprung nicht mehr erläutert werden muss. Ebenso wie wir Begriffe als naturalisiert hinnehmen, besteht die Vorstellung, dass sich die Präsenz bestimmter Phänomene in der medialen Berichterstattung und politischen Debatten allein aus deren Relevanz ergibt. Aber auch hier sind Kräfte am Werk, die sich hinter dem verbergen, was sie uns als ›gegeben‹ vermitteln.
Wie Michel Foucault verdeutlicht hat, sind es die Diskurse, die darüber entscheiden, wie wir zu einer bestimmten Zeit, in einem bestimmten kulturellen und gesellschaftlichen Setting bestimmte Dinge wahrnehmen. Deren Regeln legen fest, wer was in welchem Rahmen sagen darf. Die Regeln der Diskurse generieren so Hierarchien und Machtverhältnisse und bringen das, worauf sie sich beziehen, gleichsam selbst hervor, indem sie »systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen « (Foucault 1981: 74). Wenn man davon ausgeht, dass unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit diskursiv geprägt ist, kann eine emanzipatorische Aneignung nur gelingen, wenn jene Gruppen, die marginalisiert oder ausgeschlossen werden, ihre Stimme geltend machen und sich in die Diskurse einbringen.9 Denn die Machtverhältnisse, die diese generieren, sind nicht erratisch, sondern dynamisch und dezentral und können beeinflusst werden, indem Verschiebungen in sie eingetragen werden.
Dafür müssen die Normen, Dichotomien und Kategorien, die sie hervorbringen und über die sie sich legitimieren, stetig hinterfragt werden, um die Umstände und Gründe für ihre Setzung aufzuzeigen. Dieser reflexive Zugang negiert, ganz grundsätzlich gesprochen, das Versprechen einer Sicherheit, dass die Dinge so sind wie sie sind und eben nicht anders sein können und öffnet neue Verhandlungs- und Bedeutungsfelder, indem er die Strukturen der Systeme, in denen wir handeln und uns bewegen, transparent macht.
Der Spielraum, der durch die ›Öffnung‹ der Diskurse erschlossen wird, muss dabei nicht zwingend neu besetzt werden, um einen alternativen Status Quo herzustellen, sondern bleibt im besten Fall offen und Objekt einer stetigen Revision. Dies möchten wir hier aber nicht als Manko verstehen, sondern als produktive Praxis, die das Prinzip der Refl exion nutzt, Ambivalenzen und Ungewissheiten immer wieder zum Ausganspunkt zu nehmen, die eigenen Werkzeuge und Wahrheiten zu hinterfragen. Pornografie erscheint in diesem Licht exemplarisch für eine epistemische Praxis, die absolute Wahrheiten generiert und diese auf der anderen Seite des Spektrums selbst wieder dekonstruiert.
Sie entpuppt sich als durchlässige Kategorie, weil ihre Bedeutungsproduktion ein Spannungsfeld eröffnet, das die Vorstellung klar definierbarer Oppositionen und scharfer Grenzen bereits im ersten Schritt abmahnt. Denn Pornografie ist widerständig, wenn es um ihre begriffliche Festschreibung geht, und bleibt insofern ungreifbar, als sie ständigen Veränderungen unterliegt und mit anderen gesellschaftlichen Feldern ein Wechselverhältnis unterhält. Der Begriff der (Neu-)Verhandlung bekommt in Bezug auf Pornografie so eine ganz besondere Relevanz. Die Frage ist nicht, ob Pornografie verhandelt werden muss, sondern wer daran beteiligt sein und die Diskurse bestimmen wird.
Die folgenden interdisziplinären Beiträge bauen auf Vorträgen auf, die im Rahmen der internationalen Konferenz Explicit! Coming to Terms with Pornography entstanden sind. Sie schließen an wissenschaftliche und künstlerische Auseinandersetzungen an, zeigen Ansätze auf, Pornografie analysierbar und verhandelbar zu machen und interessieren sich für die Schnittstellen zwischen Praxis und Theorie. Oliver Castendyk markiert die Durchlässigkeit der pornografischen Kategorie.
In seinem Beitrag Grob anreißerisch – Pornografie in der deutschen Rechtsprechung zeigt er, ausgehend von den Schwierigkeiten der Entscheidungsbegründung im vielzitierten Fall Jacobellis v. Ohio , die Problematik der Bestimmung von Pornografie auf. Er verdeutlicht, wie und aus welchen Gründen es zu der Argumentationslinie kam, die zu der heutigen Definition in der deutschen Rechtsprechung geführt hat, welche – wie bereits erwähnt – bewusst offen gehalten wurde, um den Richter oder die Richterin in der Entscheidung nicht zu binden. Gerade in dieser relativen Auslegbarkeit sieht Castendyk die Relevanz für eine medienwissenschaftliche Analyse, da diese Fragen klären könnte, die bisher noch offen sind.
Die Beiträge von Sven Lewandowski, Clarissa Smith und Andrea Schmidt betreiben auf unterschiedliche Weise eine Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Diskursen und berühren die Frage nach dem Einfluss von Pornografie auf Sexualität(en). Lewandowski interessiert sich in Stiefgeschwister? Über das Verhältnis von Pornografie und moderner Gesellschaft für den Zusammenhang zwischen Pornografie und moderner Sexualität, weil deren Genese eng miteinander verknüpft ist und auch in der Analyse nicht voneinander getrennt werden kann. Er beschreibt moderne Sexualität als Produkt soziokultureller Prozesse und identifiziert drei Diskurse als ausschlaggebend für dessen Formung: jenen der romantischen Liebe, der Psychopathologie sowie der Pornografie. Lewandowski zeichnet nach, warum sich insbesondere die Pornografie als Beschreibungsmodus von Sexualität durchgesetzt hat, und wie sie ihre Plausibilität generiert.
Während Lewandoski historischen Entwicklungen nachgeht, macht der Beitrag von Clarissa Smith, Martin Barker und Feona Attwood einen Sprung in die Gegenwart und fragt danach, aus welchen Gründen und auf welche Weise junge Menschen Pornografie rezipieren. In Teenage Kicks – Die Auseinandersetzung junger Menschen mit Pornografie – Ergebnisse des pornresearch.org- Fragebogens präsentieren sie erste Ergebnisse einer empirischen Studie, für die über einen Zeitraum von sechs Monaten über 5.000 Menschen zu ihrem Umgang mit Pornografie befragt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Berichterstattungen über den vermeintlich (gesundheits-)schädlichen oder süchtig machenden Konsum von Pornografie in krassem Wiederspruch stehen zu den Antworten der Studienteilnehmer, die das Bild eines reflektierten und kreativen Umgangs mit pornografischem Material zeichnen, was die Autoren dazu veranlasst, die vorherrschenden Diskurse einmal mehr in Frage zu stellen.
Andrea Schmidt geht in Ja, Nein, Sowohl als auch? Pornografie, Feminismus und Heteronormativität zurück zu einer Debatte, die für das Herausbilden der Porn-Studies von großer Bedeutung war: der Auseinandersetzung von feministischer Theorie und Pornografie. Schmidt zeichnet jene inhaltlichen Konflikte nach, die als ›Sex- Wars‹ in die Geschichte eingingen und in denen sich in den 1970er und 80er Jahren sexpositive und anti-pornografische Feministinnen gegenüberstanden. Schmidt skizziert deren Argumentationslinien, insbesondere auch im deutschsprachigen Raum und versucht sich an einer aktualisierten Einschätzung des Stellenwertes des Feminismus für die vorherrschende Debatte um Pornografie.
Die Beiträge von Matteo Pasquinelli , Katja Grawinkel und María Llopis betreffen das subversive Potenzial von Pornografie und reflektieren die Möglichkeiten und Grenzen politischer pornografischer Praktiken. In Der Masochismus der Warenform: Queere Pornografie und die hohe Kunst des Paradoxen arbeitet sich Pasquinelli an den Vereinnahmungsstrategien des Kapitalismus ab. Er fragt nach Strukturen und möglichen Handlungsspielräumen innerhalb des Systems sowie dem Potenzial queerer Strategien in diesem Kontext. Grundlage ist die Prämisse, dass Begehren und Ökonomie eng miteinander verknüpft sind, und dass der Kapitalismus das produktive Begehren der in ihm lebenden Menschen grundsätzlich vereinnahmt.
Um sich diesem Zugriff zu entziehen, schlägt Pasquinelli das Prinzip des Masochismus als Möglichkeit vor, systeminhärent zu agieren. Das kapitalistische System wird mit seinen eigenen Waffen geschlagen, indem der Warenfetischismus in ein politisches Werkzeug umgekehrt wird, anstatt auf einer direkten Idee des Antifetischismus zu bestehen. Mit Zuwider. Oder die Handlungsspielräume (post)pornografischer Praktiken nähert sich Katja Grawinkel einer besonders komplexen Praxis der Aneignung und Neuverhandlung pornografischer Bedeutungsproduktion.
Ausgehend von dem Versuch einer Begriffserklärung und dessen Verortung in den relevanten Diskursen, beschreibt Grawinkel die Rolle der sexuellen Erregung innerhalb der post-pornografischen Ökonomie als »Vehikel einer Politik des Affekts«. Die körperliche Adressierung durch das erregende pornografische Material erscheint hier als Mittel der Entgrenzung und markiert eine genuine Widerständigkeit, die in der Unkontrollierbarkeit des Körpers ihren Ausdruck findet.
Der Beitrag der Künstlerin und Aktivistin María Llopis beschreibt einerseits einen persönlichen Perspektivwechsel und markiert andererseits die grundsätzlichen Probleme emanzipatorischer Bewegungen, Llopis sieht sich an einem Punkt, an dem der Mainstream nicht nur die Pornografie, sondern auch die Postpornografie vereinnahmt und ihr subversives Potenzial gezähmt hat. Pornografie erscheint ihr deshalb heute weniger als Mittel des Widerstands, sondern vor allem als Modus der Beschreibung der gesellschaftlichen Strukturen. Das eigentliche Feld des Widerstands verortet Llopis nicht mehr auf der Ebene der alternativen Bildproduktion, sondern im tatsächlichen Ausleben der eigenen sexuellen Vorlieben, um sich dadurch von sexistischer und patriarchaler Unterdrückung zu befreien.
In Baumaßnahmen am ›ethnischen ‹ Körper: Zwischen Selbstermächtigung und Selbstunterwerfung fragt Anika Meier nach der Rolle der plastischen Chirurgie in Bezug auf den ›ethnischen ‹ Körper. Dieser erscheint einerseits als Oberfl äche, die dem Imperativ der stetigen (körperlichen) Selbstoptimierung unterliegt, und eröffnet andererseits Handlungsspielräume für »selbst bestimmtes Leben«, weil er durch transformatorische Eingriffe Identität (re-)artikulierbar macht. Dabei formuliert das Phänomen der ›ethnischen Schönheits chirurgie‹ ungeklärte, politische und hochgradig normative Fragen der Körperarbeit, die Parallelen zum Diskurs um Pornografi e aufweisen.
Giovanna Maina, Till Claassen, Jan Distelmeyer widmen sich den Spezifi ka der jeweiligen medialen Ausformung von Pornografi e und zeigen, dass sich über deren Analyse auch Aussagen über Struktur und Rhetorik des Digitalen und der fi lmischen Technik treffen lassen. Giovanna Maina knüpft dabei an eine Denkfi gur an, die seit jeher mit der fi lmischen Technik verknüpft ist: die Idee von einer Spur des Wirklichen. In ›Identitätsporno‹ und die Rhetorik des Realismus fragt sie nach dem spezifi schen Realitätsversprechen audiovisueller Repräsentationen von Pornografi e und beschreibt insbesondere, welche Strategien die alt-porn -Bewegung sich zu eigen macht, um das Versprechen einzulösen. Alt-porn erscheint hier einerseits als Steigerung des von der Mainstreampornografi e und Amateurpornografie beanspruchten Realitätsgestus, und vermag laut Maina andererseits,den ›echten Sex ‹ in einer komplexeren und facettenreicheren Form abzubilden. Denn alt-porn thematisiert beziehungsweise problematisiert die Mechanismen des Begehrens selbst und setzt nicht auf utopische Versprechen oder Kompensation, sondern auf inkludierende Strategien und Identifikation.
Till Claassen untersucht in seinem Beitrag Unterwegs im Pornoland – Kategorien und Adressierbarkeit auf pornografi schen Websites die Kategorien, die im Internet als Navigationswerkzeuge fungieren und den Usern pornografi sche Bewegtbilder auffi ndbar und damit auch verfügbar machen. Claassen klopft die kategorialen Zuschreibungen auf ihre Funktionsweisen und Spezifi ka ab und beschreibt ein Spannungsfeld, das sich zwischen den interpretierenden und defi nierenden Qualitäten der Kategorien sowie deren demokratisierendem Potenzial auffächert.
In Objektwahl – Internetpornografi e und personalisierte Ermächtigung fragt Jan Distelmeyer nach dem Bedingtheitsgefüge, innerhalb dessen uns pornografi sche Bilder und Inhalte erscheinen und welche Versprechen die Strukturen webbasierter Medien generieren.Sein Fokus liegt dabei auf Bildern und Inhalten, die uns pornografi sches Material im Internet auffi ndbar und damit verfügbar machen. Über die Beschreibung der Ästhetik von Websites und Navigations - und Menüleisten, in denen Ordnungen hauptsächlich über kategoriale Zuschreibungen hergestellt werden, entlarvt Distelmeyer die Ermächtigungsgeste der Zugriffsmenüs, die freie und individuelle Auswahl versprechen, als in Wirklichkeit denkbar einschränkend, weil sie klar vorgeben, wie sie benutzt werden sollen und darüber hinaus jene Vielfalt reduzierenden Kategorien (re-)produzieren, die im gesellschaftlichen Diskurs bereits ihren festen Ort gefunden haben.
Der Künstler Sands Murray-Wassink hat einen schonungslos selbstrefl exiven Zugang gewählt und beschreibt in BRAINY SEX, OR HOW I GOT LUCKY WITH GAY PORN, dem Skript seiner Lecture Performance bei der Konferenz Explicit! Coming to Terms with Porngoraphy, seinen alltäglichen Umgang mit Pornografi e und Masturbation. Murray- Wassinks Bericht aus seiner persönlichen und künstlerischen Praxis erhebt keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit, macht aber gerade in seiner totalen Subjektivität deutlich, dass Pornografi e immer schon in politische und gesellschaftliche Fragestellungen eingebunden ist, ganz egal, wie ›frei‹ der individuelle Umgang mit ihr auch sein mag.
Die unterschiedlichen Ansätze und Fragestellungen tragen der Komplexität des Bedeutungsproduzenten Pornografi e Rechnung und versuchen sich an einer Offenlegung der Spezifi ka, Bedingtheiten und Potenziale, statt eine qualitative Bewertung vorzunehmen. Denn bevor wir überhaupt fragen können, wie Pornografi e uns beeinfl usst, welche Machtverhältnisse sie generiert, welches Bild von Sexualität und Geschlecht sie produziert, welche Normen sie setzt, oder wie eine emanzipatorische Aneignung funktionieren könnte, müssen wir wissen, worüber wir sprechen, und uns eine Vorstellung davon machen, was Pornografi e alles sein kann und wie sie rezipiert wird. Die Bedeutungsproduktion von Pornografie berührt dabei gender-, identitätspolitische und feministische Fragen ebenso wie die Rezeptionsanalyse und die Spezifi ka ihrer jeweiligen medialen Ausformungen. Das Verhältnis einer Gesellschaft zu ihrer Pornografi e sagt so auch immer etwas über andere Felder aus und ist das Resultat einer Verknüpfung verschiedenster Prozesse, Diskurse und Machtverhältnisse und bildet darüber hinaus gewandelte Vorstellungen von ›Anstand ‹ und ›Moral ‹ ab. Mit anderen Worten: Wir haben die »Pornograf e, die wir verdienen« (Llopis in diesem Band).
Anmerkungen
1 Siehe hierzu auch der Beitrag von Till Claassen in diesem Band.
2 Hierbei wird hauptsächlich mit der Notwendigkeit argumentiert, Jugendliche vor dem mutmaßlich schädlichen Einfl uss von Pornografie zu schützen, sowie mit der Sorge über die Objektivierung von Frauen.
3 Siehe hierzu auch der Beitrag von Jan Distelmeyer in diesem Band.
4 Siehe hierzu auch der Beitrag von Oliver Castendyk in diesem Band.
5 Sexualität wird von Foucault hier als »Erkenntnisbereich « gedacht, der sich über einen längeren Zeitraum organisiert und sexuelle Verhaltensweisen zu »Wissensobjekte[n]« (2012: 7) transformiert hat.
6 Siehe hierzu auch die Beiträge von Till Claassen und Jan Distelmeyer.
7 Siehe hierzu auch die Beiträge von Katja Grawinkel, Sands Murray-Wassink, Matteo Pasquinelli und María Llopis.
8 Dieser Zugang geht von der Prämisse aus, dass es möglich ist, aus den bestehenden repräsentativen und referentiellen Systemen auszubrechen, indem man alternative pornografi sche Bilder produziert. Er wirft grundsätzliche Fragen darüber auf, ob es möglich ist »through the media of oppression« (Bell 2014) einen Handlungsspielraum zu schaffen, ohne jene Systeme zu reproduzieren.
9 Siehe hierzu auch der Beitrag von Clarissa Smith (u. A.) in diesem Band.
Literatur
Barthes, Roland (1964): Mythen des Alltags. Frankfurt am Main. Bell, Amy K. (2014): Sexual Branding in the Works of Beyonce, Marie Calloway and Sasha Grey. In: The Tusk, 24.3.2012, http://thetusk. com/2014/03/12/sexual-branding-inthe- works-of-beyonce-marie-calloway-andsasha- grey [20.4.2014].
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