Das neue Schwarz unter den WassernWasser als plastikumhülltes Konsumgut vom Markt zu nehmen, dafür kämpft atip:tap. european water initiative und will Nestlé, Vittel, Evian oder Volvic den Hahn abdrehen. „Wasser frei!“ für eine junge Initiative.
Es perlt und spritzt, Flasche wird an rosige Lippen angesetzt, Tropfen funkeln in der Sonne, Etikett schillert, attraktive Frau wirft erfrischt den Kopf zurück, zufriedener Blick in die Kamera. So oder so ähnlich verläuft fast jede Werbung für Mineralwasser. Die Anpreisung zeigt Wirkung. Vielen kommt heute nur das Wertvollste in die Flasche: Wasser aus Frankreich oder Hawaii, Quellwasser, durch Vulkangestein gewaschen, aus artesischen Brunnen geschöpft, urig-rein, sprudelnd-klar und noch nasser. Die großen Konzerne mischen mit, Wasser wird gehandelt, privatisiert und verschafft qua Label sogar Lebensgefühl. Um statusdienliches Produkt zu werden, muss Wasser transportiert, aufbereitet, in Flaschen abgefüllt und wieder transportiert werden. Das kostet Sprit, Energie und produziert Müll, der – Stichwort Plastikflasche – nur schwer zu recyceln ist. Und für alle, die nicht ebenerdig wohnen oder über keinen Aufzug verfügen, bedeutet der Konsum von abgefülltem Wasser auch körperlichen Einsatz; eine ewige Schlepperei, die alle paar Tage von vorne beginnt. Aber egal, ob es spritzt, wir es extra aufsprudeln, aufwendig filtern, Rosenquarz reinschmeißen oder in schicke Flaschen füllen, wir alle brauchen sauberes Trinkwasser.Die nachhaltige Lösung dieses Dilemmas ist so einfach wie effektiv: Nicht Mineralwasser teuer kaufen, sondern das günstige aus der Leitung trinken! Nicht mit abgeschnürten Händen Sechserpacks in den vierten Stock schleppen, sondern rund um die Uhr den wohnungseigenen Wasserspender nutzen – die Privatquelle in der Küche, reich an Mineralien und schadstofffrei. Nicht Müll und Transportemissionen produzieren, sondern eine und dieselbe Flasche immer wieder auffüllen.Weil das für unsere produkt- und labelfixierte Welt aber alles viel zu einfach klingt und auch kaum Hipness-Potenzial hat, muss die Idee attraktiv gemacht werden. Denn Leitungswasser ist nicht schick. Es ist schließlich nur irgendein Wasser, ohne identitätsstiftende Marke, muss unterwegs klammheimlich in Toiletten gezapft werden und steht noch dazu im Verdacht, weniger gesund zu sein als Mineralwasser. Deshalb wird es meist auch gering geschätzt und nur für niedere Dienste genutzt, wie Waschen, Spülen oder gar Klospülen. Hier kommt atip:tap ins Spiel.Diese european water initiative hat sich auf die Fahnen geschrieben, das Leitungswasser aus seiner Schmuddelecke zu befreien. Hinter atip:tap stehen zehn Wasserbegeisterte Mitte 20. Unterstützt durch das EU-Programm Jugend in Aktionleisten sie Aufklärungsarbeit und setzen sich, zunächst in Berlin, für den Bau von öffentlichen Trinkwasserbrunnen ein, um den allgemeinen Zugang zu frischem Wasser auch außer Haus zu ermöglichen. Ein solcher Brunnen wurde in Kooperation mit den Berliner Wasserwerken bereits gebaut und eröffnet. Weiterhin wird momentan an der Entwicklung einer Wasser-App gearbeitet, die Smartphone-Besitzern anzeigen soll, wo der nächste Trinkbrunnen ist – oder das nächste Lokal, das kostenlos Leitungswasser ausschenkt.Die Gründer von atip:tap, Samuel Höller und Lena Ganßmann, waren der abstrakten Diskussionen über Nachhaltigkeit und Umweltschutz müde. Sie wollten nicht mehr nur reden. Sondern etwas tun, etwas Greifbares im Alltag verändern. Da kam ihnen eine Einladung der Europaberatung Berlin gerade recht. Die informierte im Frühjahr 2010 über Förderungsmöglichkeiten für „junge Projekte“. Höller und Ganßmann ließen sich beraten, und dann ging alles ganz schnell. Für ihre Idee zu atip:tap bekamen sie im August 2010 eine bescheidene Fördersumme ausgezahlt. Kein Erdrutsch, aber genug, um den Stein ins Rollen und das Wasser zum Laufen zu bringen.„Es geht nicht darum, das (Wasser)-Rad neu zu erfinden, sondern um Kooperation“, meint Samuel Höller, „und darum, eine Praxis, die sich als gut erwiesen hat, weiterzutragen.“ Denn andere europäische Länder machen es vor: In Italien, Spanien oder auch England wird gerne Leitungswasser getrunken, ausgeschenkt und öffentlich gezapft. In Holland hat sich mit Join the Pipe eine Initiative gegründet, die ebenfalls öffentliche Trinkbrunnen baut. Neben der Verbreitung funktionierender Modelle geht es atip:tap darum, geteilte Anliegen auch gemeinsam mit anderen Initiativen umzusetzen. Über eine ehemalige Mitstreiterin hat sich so bereits ein Ableger im spanischen Bilbao formiert, und mit Join the Pipe ist Höller im Gespräch über Brunnendesign. Die Brunnen der holländischen Gruppe haben nämlich flexible Leitungen. Das verhindert das Einfrieren, und die Brunnen können das ganze Jahr über in Betrieb bleiben. Es geht also um konkrete und praktische Maßnahmen.Weil aber trotzdem noch viel Erklärungsbedarf besteht, sucht atip:tap so oft wie möglich das Gespräch, informiert an Ständen und auf öffentlichen Veranstaltungen und führt mit Interessierten Blindtests durch, die meistens den guten Geschmack des Berliner Leitungswassers bestätigen. Höller hält außerdem in Behörden und Firmen Vorträge, um jeweils die gesamte Institution zum Umstieg auf Leitungswasser zu bewegen. Bei den öffentlichen Gesprächen sind immer auch skeptische Stimmen zu hören. „Die Qualität des Leitungswassers spielt eine Rolle“, erzählt Höller, „oder die Frage, ob man in Zeiten, in denen man an Auswahl gewöhnt ist, einfach ‚nur’ Leitungswasser aus No-Name-Flaschen und ohne Sprudel ausschenken kann.“ atip:tap versucht, auf die Anliegen und Bedürfnisse individuell zu reagieren und bietet für alle etwas an: Aufsprudler, Filter, Wassertests mit Laborgarantie für zu Hause und für das Büro, repräsentative Behältnisse für die publikumsgerechte Präsentation. Mit letzteren kann man sich getrost öffentlich zeigen. Nebenbei wirbt man dann für atip:tap und das Leitungswasser-Trinken.Um das ehrenamtliche Projekt auch langfristig zu finanzieren, wird lokal kooperiert. Mit den Berliner Wasserwerken in Sachen Ausbau des Trinkbrunnennetzes und mit den Kneipen und Geschäften im Umkreis des ersten Brunnens in Neukölln. Letztere sollen als leitungswasserausschenkende Lokale künftig das Zertifikat atip:tap proved tragen dürfen, gut sichtbar als Button im Fenster.Und wenn alles gut geht, ist das aus der Leitung bald das neue Schwarz unter den Wassern, dynamisch selbstgezapft und per Filter, Flavour, Sprudel (oder Rosenquarz) individuell aufgewertet. Dann wird man sich auf Berlins Straßen nicht mehr über Falafel- oder Espressoläden austauschen, sondern sich wissend zuraunen, wo der coolste Brunnen, das Lokal mit dem weichsten Wasser oder die angesagteste Trinkflasche zu haben ist.
FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit am 21.03.2013