Mehr fairen Porno braucht die Welt
In der Sexismusdebatte muss man auch über Sex nachdenken. Und wie er in Pornos abgebildet wird. Die Filmemacherin Erika Lust interpretiert Feminismus auf eigene Art.
Ein kleiner Tropfen Blut trifft auf das Wasser in der Badewanne, aus der die junge, schlanke Frau steigt. Sie sieht aus ihrem Fenster. Die Gardinen wehen im Wind, die hell erleuchtete Wohnung steht im starken Kontrast zur tiefschwarzen Nacht. In ihrem Bett liegend, beginnt sie, sich selbst zu befriedigen. Ihre Fingerspitzen sind bald von Blut bedeckt. An ihrem Fenster verschafft sich ein Vampir Zugang. Der gut aussehende Untote, sichtlich angetan von der Blutquelle, beginnt sogleich zu "trinken". Die Begegnung, die in anderen Kontexten tödlich enden würde, führt hier zur Befriedigung beider Parteien und kulminiert im Orgasmus der oral stimulierten Frau. Can Vampires Smell My Period? stammt aus der Reihe XConfessions von Erika Lust. Die in Schweden geborene und in Barcelona lebende Filmemacherin macht seit 2004 explizite Filme. Immer wieder erzählt sie in Interviews, wie ihre erste Begegnung mit Hardcore-Pornografie in einer feministischen Identitätskrise mündete. Denn obwohl sie die sexistische Darstellung von Frauen, die sie hier zu sehen bekam, nicht gut finden konnte, reagierte ihr Körper deutlich positiver auf die Sexszenen. Verwirrt suchte sie nach einer Lösung für dieses Dilemma.
Bei der Lektüre von Linda Williams’ Buch Hardcore hatte sie schließlich ein Erweckungserlebnis. Pornografie, die Darstellungsform, die von der "normalen" Gesellschaft immer noch als pervers verschrien und auf ihren Platz in der Schmuddelecke verwiesen wird, erschien ihr plötzlich als ein Genre, das man genauso analysieren kann wie jedes andere. Diese Erkenntnis nahm Lust die Berührungsängste und gab ihr die Motivation, einen Porno zu drehen, der sie selbst anmacht. 2004 stellte sie ihren ersten Kurzfilm The Good Girl ins Netz. Von dem großen Erfolg des Films (der ihr auch ein Kompliment der Filmwissenschaftlerin Linda Williams einbrachte) beflügelt, gründete Erika Lust ihre eigene Produktionsfirma.
Ihre dort fair produzierten Filme tun niemandem weh. Statt mechanischen Sex zu zeigen, konzentriert sich Lust auf sexuelle Interaktion zwischen Menschen, die in einer (fiktiven oder realen) Beziehung zueinander stehen. Während das Mainstream-Business auf Produktionsseite stark von Männern dominiert wird, leistet Erika Lust auch hinter den Kulissen feministische Arbeit: 90 Prozent ihrer 18 fest angestellten MitarbeiterInnen sind Frauen.
Trotzdem wird sie für ihre Arbeit angefeindet, von Konservativen, aber auch von Feministinnen: "Das Ganze ist sehr kompliziert für die Leute. Feministische Pornografie erscheint als paradoxe Kombination. Denn es gibt diese Idee, dass Pornografie grundsätzlich gegen Frauen gerichtet ist und Feminismus gegen Männer. Wenn Leute dann feministische Pornografie hören, stellen sie sich eine Gruppe verrückter Frauen mit Haaren unter den Armen vor, die Männern die Schwänze abschneiden wollen", sagt sie lachend, als wir uns in einem Berliner Kino zum Interview gegenübersitzen.
Erika Lust interessiert sich nicht dafür, Schwänze abzuschneiden. Bewusst grenzt sie sich sowohl vom Mainstream-Porn als auch von der DIY-Ästhetik bestimmter Aktivistinnen ab. Normkonform rasiert, mit langem Haar und dezenter Schminke kultiviert sie ihr Normalo-Image (heterosexuell, verheiratet zwei Kinder, femme-identifiziert) soweit, dass sie selbst mit Sneakers, Jeans und locker sitzendem T-Shirt zu Termin erscheint.
Lust weiß: Gerade als Frau muss man aufpassen, sich nicht von den moralisch-wertenden Diskursen besudeln zu lassen, die an der Pornografie kleben wie ein T-Shirt an einem verschwitzten Rücken. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Rolle der Frau im Mainstream-Porno klar besetzt ist. Weibliche Performerinnen sind hier in allen möglichen oralen, vaginalen und analen Konstellationen zu sehen, in denen sie vor allem eins tun: schlucken, lecken und stöhnen, bis er kommt. Ob sie dabei selbst Lust empfinden, ist zweitrangig. Und allen Frauen, die mit Pornografie zu tun haben, haftet der Verdacht an, nicht aus freien Stücken dabei zu sein, oder zumindest aus falschen, fehlgeleiteten Gründen. Da hilft nur Abgrenzung.
Folgerichtig macht Lust auch keine Pornos, sondern sortiert ihre Filme unter "Indie Adult Cinema". "Ich sitze heute aus drei Gründen hier", fasst sie im Gespräch zusammen: "Feminismus, Sexualität und Film. Und ich versuche, alle drei Themen miteinander zu verbinden und etwas Großartiges daraus zu machen." Besonders großen Wert legt sie auf die Beziehungen zwischen den Sexualpartnern: "Ich glaube, dass die Leute sich nach Gefühlen sehnen, nach Intimität. Denn Porno funktioniert sonst ganz anders, so mechanisch und zeigt nicht, wie Menschen sexuell interagieren."
Tatsächlich gefällt vielen weiblichen Erika-Lust-Fans der dokumentarische Kurzfilm I Am In Love With Owen Grey, in dem ein aufgeregter weiblicher Fan Sex mit ihrer Ikone hat. Der sei so schön authentisch. Starstruck zu sein, gilt also als authentisch.
Das überrascht Erika Lust nicht besonders, sie findet aber die Sehnsucht nach Authentizität uninteressant. Sie sieht es eher pragmatisch: "Die DarstellerInnen sind sexuelle PerfomerInnen, die mir helfen, einen Film zu machen. Und bevor sie Sex miteinander haben, sprechen wir viel miteinander und bereiten uns so gut wie möglich vor. Ich gebe Ihnen keine genauen Anweisungen für Stellungen oder so, aber ich spreche über Dinge, die interessant für meine Kamera sein könnten und bitte sie, diese Bilder möglich zu machen. Manche PerformerInnen kommen dabei zum Höhepunkt, andere nicht." Lust sieht sich vor allem als Filmemacherin. Das schließt auch nicht aus, dass sie sich am Mainstream-Porno-Repertoire bedient und die dort allgegenwärtigen Moneyshots, also Samenergüsse, eben auch in ihren Filmen zeigt. "Die können sehr schön sein, finde ich."
Diese Anleihen am allseits bekannten Repräsentationssystem der Pornografie lassen sich durchaus kritisieren. Beispielsweise anhand der Darstellung von Blowjobs in der Reihe XConfessions von Erika Lust, wenn der Mann das Tempo vorgibt, in dem er die Frau am Kopf anfasst. Ist das sexistisch? "Es kommt immer auf die Situation an", antwortet Lust mit einem Schulterzucken. "Wir müssen einzelne Situationen von generellen Strukturen unterscheiden. Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Wenn eine Frau in einem meiner Filme bewusst untergeordnet ist, das aber aus dem Kontext hervorgeht, ist das okay."
Lusts Ansatz wirkt einleuchtend. Denn eine radikale Neuerfindung der Darstellung sexueller Interaktion stößt an ihre Grenzen. In queeren Konstellationen ist es vielleicht noch einfacher, Rollenmuster aufzubrechen, indem etwa gezeigt wird, wie zwei weibliche Darstellerinnen sich abwechselnd den Dildo umschnallen. Sie entschärfen das Machtsystem Penetration, indem die eine mal den aktiven und mal den passiveren Part übernimmt. Bei heterosexuellen Sexpartnern gestaltet sich das schon etwas schwieriger, weil der Penis nun mal am Mann festgewachsen ist. Es geht also nicht so sehr darum, bestimmte Stellungen und Handlungsweisen aus dem Repertoire zu streichen, sondern um die Art und Weise der (liebevollen) Umsetzung. Dann hat das Ausleben jeder sexuellen Vorliebe seine Berechtigung, vorausgesetzt alle Beteiligten sind einverstanden und consent-fähig.
Lust sieht ihre Aufgabe deshalb auch nicht darin, persönliche Geschmäcker zu beeinflussen oder gar über die Herkunft derselben zu spekulieren (Finden wir den Moneyshot nur schön, weil wir vom Mainstream beeinflusst sind?): "Verschiedene Dinge funktionieren für verschiedene Leute. Und wenn du fantasielosen Sex auf einer hässlichen Couch vor einem hässlichen Hintergrund zeigen willst, ist das auch in Ordnung." Diese Haltung ist vielen allerdings nicht politisch genug: "Die Leute möchten, dass ich das ganze Spektrum an Diversität abbilde. Ich soll alle repräsentieren. Warum arbeitest du nicht mit Transsexuellen?, werde ich immer wieder gefragt. Wo sind die asiatischen Männer in deinen Filmen? Und ich sage dann immer: Ich versuche es wirklich! Aber ich bin nur eine Person und kann nur mein eigenes Ding machen."
Ihren feministischen Ansatz verortet Lust vor allem auf der strukturellen Ebene. Angesichts sexistischer und rassistischer Titel und Genres wie Latina Gets Frosted oder Teen Takes Big Cock auf Websites wie pornhub oder xhamster sowie allgegenwärtigen frauenfeindlichen Darstellungen in der Mainstream-Pornografie fordert sie: "Wir müssen Sprache, Werte und Situationen vom Sexismus befreien." Und das geht für sie am besten, wenn Frauen selbst die Kamera, das Skript und die Produktion in die Hand nehmen. Mehr explizite Filme von Frauen werden zwar nicht die Welt verändern, aber sicher ein paar Leute positiv beeinflussen. Und das ist Lust erst mal genug: "Wenn du ein kleines Bio-Restaurant aufmachst, tust du das nicht mit dem Anspruch, McDonald’s zu verdrängen. Du machst es, um eine Alternative anzubieten." Der Ausweg aus dem pornösen Repräsentationsdilemma? Nicht mehr Radikalität, sondern mehr fairer Porn! Hätten Frauen eine größere Auswahl, könnten sie sich ohne feministische Zweifel umschauen in allen Genres, mit Handlung oder ohne, mit Strap-Ons oder Penissen, auf der hässlichen Couch oder in der High-Gloss-Ästhetik von Erika Lust. Vielleicht wäre der nächste Menstruationsporno dann auch mal verschmiert, anstatt kontrolliert zu tropfen. Wahrscheinlich gäbe es auch mehr Filme, die sich nicht lange mit dem Vorspiel aufhalten. Man könnte gleich zu dem Teil vorstoßen, in dem sie kommt. Falls wir das denn wollen.
Zeit Online am 27. Oktober 2017